Nachhilfe im Moschee-Keller
In einem islamischen Gotteshaus in Billstedt geben Studenten, Berufstätige und Rentner Förderstunden für Migranten
Der Förderunterricht zahlt sich aus - viele der Kinder haben binnen eines Jahres ihre Leistungen deutlich steigern können
Ein ähnliches Projekt startet im Februar in Hamm. Für viele Fächer werden aber noch ehrenamtliche Lehrer gesucht
Mehmet-Akif Tadik hatte große Schwierigkeiten in Englisch: Er verstand die Texte nicht richtig, schon kleine Aufsätze zu verfassen war eine zu große Herausforderung. In seinen Sätzen häuften sich die Fehler, und nicht selten fielen ihm die richtigen Vokabeln nicht ein. Damals schrieb der 15-Jährige oft Fünfen in Englischarbeiten. Damit sich seine Schulleistungen verbessern, schickten ihn seine Eltern vor einem Jahr zum Nachhilfeunterricht in der Sultan Ahmet Moschee in Billstedt. Hier wird Mehmet in hergerichteten Kellerräumen zusammen mit rund 30 anderen Schülern unterrichtet. Die Nachhilfe geben Studenten, Berufstätige und Rentner auf rein ehrenamtlicher Basis. Im Falle von Mehmet hat sich der Förderunterricht schon ausgezahlt: Nun schreibt er häufig Dreien in Englisch und kann dem Unterricht viel besser folgen.
Das Nachhilfeprojekt wurde von der Freiwilligenbörse Hamburg, deren Mitglieder sich für die Organisation von ehrenamtlicher Tätigkeit einsetzen, ins Leben gerufen. Dadurch sollen in erster Linie Kinder mit Migrationshintergrund angesprochen werden: "Viele Schüler mit ausländischen Wurzeln haben aufgrund von sprachlichen Defiziten oft Probleme, dem Unterricht zu folgen", sagt Nachhilfelehrerin Barbara Meyer. "Einige trauen sich dann nicht, im Unterricht nachzufragen." Im Nachhilfeunterricht geht das besser: Hier sitzen viele Schüler mit Migrationshintergrund, die ähnliche Verständnisschwierigkeiten haben. Außerdem ist die Moschee ein Ort, an dem sich die Jugendlichen wohlfühlen, was eine gute Lernatmosphäre schafft.
In Billstedt bietet sich ein solches Nachhilfeprojekt besonders gut an, denn hier ist der Anteil von Familien mit ausländischen Wurzeln sehr groß. Laut Angaben des Statistikamtes Nord leben momentan rund 32 511 Migranten in Billstedt. Auf die Gesamtbevölkerung gerechnet, ergibt sich für Billstedt damit ein Migrantenanteil von 47 Prozent.
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Nicht nur das gemeinsame Lernen mit anderen ausländischstämmigen Schülern, sondern auch das vertraute Verhältnis zu den Nachhilfelehrern schafft eine gute Basis. "Ich glaube, dass es sehr hilfreich ist, dass wir keine richtigen Lehrer sind", erwähnt Nachhilfelehrerin Anastasia Shelestova. "Wir reden mit den Schülern auch über private Themen und schaffen so eine entspannte Lernatmosphäre." Auch heute hat Mehmet keine Scheu, Anastasia um Hilfe zu bitten. Direkt zu Beginn der Stunde kommt er auf sie zu und fragt: "Kannst du mir noch mal den Satz des Pythagoras erklären?" Das junge Mädchen setzt sich auf einen Stuhl neben Mehmet und deutet auf sein Matheheft: "Hier siehst du ein rechtwinkliges Dreieck. Die Seite gegenüber dem rechten Winkel ist die Hypotenuse." Danach erläutert sie noch kurz, mit welcher Formel Mehmet die Länge der unbekannten Seite berechnen kann und lässt ihn alleine weiterrechnen. "Ich finde es wichtig, den Schülern die Inhalte nur kurz zu erklären und sie dann eigenständig daran arbeiten zu lassen", meint Anastasia. "Nur so können sie die Inhalte richtig verstehen und auch langfristig verinnerlichen." Wie wichtig es ist, bei Verständnisschwierigkeiten in der Schule Hilfe zu bekommen, weiß Anastasia Shelestova aus eigener Erfahrung. Mit 13 Jahren kam die heute 20-Jährige mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland. Damals konnte sie kaum Deutsch sprechen und hatte große Probleme, dem Unterricht zu folgen. "Ich habe auf dem Gymnasium ein Schuljahr wiederholt und zusätzlich auch Nachhilfeunterricht in Deutsch bekommen, damit sich meine Schulleistungen verbessern", erzählt Anastasia. Das Engagement hat sich gelohnt, denn mittlerweile hat sie Abitur gemacht und möchte demnächst Jura studieren. Ihr Werdegang ist ein Vorbild für viele Jugendliche in dem Nachhilfeprojekt. Auch die türkischstämmige Meltem Katirci erfüllt eine solche Vorbildfunktion: Sie hat Abitur gemacht und studiert mittlerweile Politikwissenschaften. Meltem hatte nie Probleme in der Schule, und ihre Eltern haben sie in Bildungsfragen immer unterstützt. Nun möchte sie, dass Kinder mit Schulproblemen von ihrem Wissen profitieren: "Bildung ist heutzutage so wichtig, dass möglichst allen Kindern ein guter Zugang dazu ermöglicht werden soll", meint Meltim. "Dafür, dass Schülern mit Lernschwierigkeiten geholfen werden kann, engagiere ich mich gerne. Auch wenn ich dafür kein Geld bekomme." Leider konnten noch nicht genügend Menschen gefunden werden, die sich in dem Projekt ehrenamtlich engagieren. Momentan geben insgesamt zehn Nachhilfelehrer in der Moschee in Billstedt Unterricht. Jeweils montags und mittwochs kommen dort ungefähr fünf Lehrer hin, um den Schülern Förderunterricht zu erteilen. Da die Warteschlange mit 40 weiteren Schülern aber sehr lang ist, werden dringend weitere Lehrkräfte benötigt. "Wir suchen Menschen, die auf einem bestimmten Fachgebiet kompetent sind", sagt Bernd Peter Holst, Leiter der Freiwilligenbörse Hamburg. "Besonders in Mathe und in Naturwissenschaften ist der Bedarf groß." Da das Nachhilfeprojekt in Billstedt nun seit über einem Jahr eine Erfolgsgeschichte ist, soll ab Anfang Februar auch in der Ditib-Moschee in Hamm unterrichtet werden.
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